Zyklen -to get rid of-
unsere Unmöglichkeit 8.95
"Da es sich bei PP um ein Thermoplast handelt ist es technisch leicht einschmelzbar",
sagt der Mitarbeiter vom Umweltbundesamt, aber -sage ich- wie wir wissen, ist
das Materielle auch in diesem Falle zweitrangig:
Information: Teuer ist die Ermittlung des Wissens, welcher der Jogurtbecher,
der Monoblocks mit fehlendem Bein, der Fensterrahmen und der ausgelaufenen Tintenpatronen
aus PP, PE oder PVC ist.
Gehört der Gegenstand der Gruppe mit der kurzen Zykluszeit an, wird sich
gemäß Verordung schon leicht ein gepfeiltes Dreieck mit der entsprechenden
Angabe finden lassen. Es muß jemanden geben, dem zugemutet wird auf einem
verschmutzten Gefrierbeutel das Dreieck zu finden.
Nach dem ersten Grüner-Punkt-Protest-Geschweine hängen doch wieder
zwei Abfalltüten in der Küche, diverse andere Behälter für
die unterschiedlichsten Sekundärrohstoffe bevölkern die gesamte Wohnung.
Gegenwart und Vergangenheit: Die Illusion in einer anderen Art von Kreislauf
zu leben: Als ich mehrere Lastwagenladungen ausrangierter Dinge als Requisiten
für einen Film 'Aufstand der Dinge' vor dem Tod rettete, war das eine gute
Tat. Sie war mir gemäß, das Wegschmeißen nach den Dreharbeiten
1992 besorgte ein Assistent, während ich die von ihm selektierten Überlebenden
schwitzend auf den Dachboden hievte, wo sie jetzt ihrerseits abwechselnd schwitzen
und frieren: selbstfahrend präparierte Hooverstaubsauger, motorisierte
Blechbüchsen und Bügeleisen, ehemals emailierte Wassereimer, alles
voll: Sklave der Dinge, alles muß irgendwie weg, Abschied von der Rettung.
8.95
In Klammern: (Das Schlimmste sind Geschenke: man muß mal zusehen, wie
jemand Geburtstag oder Hochzeit feiert, um die ganze Tragik der liebevoll den
Besitzer wechselnden Dinge zu erfassen. Die peruanische Putzfrau, schaute sich
enttäuscht das Desaster mit den Geschenken nach der Mammuthochzeit an:
Alles alt! (bis auf den Pine-appleslicer und den cordless Wasserkocher stimmte
das wohl mehr oder weniger). Buchhalter der Datenaufnahme, was von wem, kaputt
oder nicht kaputt, war PW. aus Wien, dem aufgrund tonartlicher Differenzen zu
den Namensangaben immer Zusätze gegeben wurden, ob scharfe oder weiche
Ds, Bs und Gs vorkamen. D. lud, nach der Selektion in trockene Sekundärrohstoffe
und Papier, das restliche Drittel fuhrenweise auf eine Schubkarre und lagerte
es bis zum Kälteeinbruch in der nachbarlichen Sauna der Verwandten ein.)
9.8.1996
Beim Aufwachen zeigten sich die Kopfschmerzen des gestrigen Tages. Das beste
sei im Bett zu bleiben und die Minuten verstrichen langsam bis zum nächsten
Einschlafen, mildes Spätsommerlicht. L´s Wohnung, der Schrank diagonal
in einer Ecke. Eine angenehme Ordnung, die jedem verstauten Gegenstand seinen
richtigen Platz gibt, als hätte jeder Gegenstand sich selbst für seinen
Platz entschieden und kehrte, wenn er ihn mal kurzfristig verlassen hat, selbständig
an ihn zurück. Die auf Tischen und Stühlen Herumliegenden sind demnach
auf Reisen, Sommerfrische, sind raus gefahren in die Stadt, auf die Straße
herausgegangen für kürzere oder längere Zeit, gewiß zurückzukehren.
Auch diejenigen Gegenstände, deren Verbleib in der Wohnung kurzfristig
ist, haben je nach Zielort verschiedene Bahnhöfe, die wellpappene Tomatenkiste
als Station fürs überflüssig gewordene Papier. Eimer und Tüte
auf den Rückseiten zweier Küchenschranktüren, als Bahnhöfe
hinters Haus zu Kompost und verzinktem Container, oder der an der Schattenseite
im Flur für diejenigen Dinge, die entweder geliehen sind oder zu Auto und
Keller zurückreisen werden. Nur die Versammlung bespielter Videokassetten
sträubt sich irgendwie längerfristig den Berg um die Fernsehetagere
herum zu räumen und auf die jeweiligen durch Karteikarten beschriebenen
Plätze in kleine stapelbare, selbstgebaute Multiplexbehälter zurückzukehren.
Auch der niedrige Tiefkühlschrank mit vereisten 16mm-Rollen und Pfisterbrot
behauptet, es gäbe keine Alternative für ihn.
Ein Morgen, Vormittag, Nachmittag, der in der Wohnung einfach langsam verstrichen
ist, Zeitlupenbewegungen durch grünes Licht und offene Fenster, Badewanne
mit undefiniertem Lesen und aufhören. Dort liegend den vergoldeten Rahmen
des beschlagenen Spiegels betrachtend, dessen untere Ecken sich in Jahren erhöhter
Humidität unter dem Gewicht der Scheibe gelöst haben.
Die Entscheidung hinauszugehen um Zigarettenfilter zu kaufen, dehnt sich, wie
das Bedürfnis eine Zigarrette zu rauchen sich unter der Gewißheit
dehnt, daß die Kopfschmerzen spätestens beim Ausdrücken derselben
zurückkehren werden. Um den Weg zum Kiosk zu verlängern belanglose
Einschätzungen zu belanglosen Neuerscheinenungen lesen. Das Verhältnis
einer Frau zu ihrer Mutter und zum Älterwerden etc.
Draußen schauen alle, die auf dem Bürgersteig Salat essen auf das
langsame bleiche Wesen, das bei all dem Wahrnehmen des Angeschautwerdens vergißt,
daß es auch die Möglichkeit zu reagieren gäbe. Heute gibts nur
den warmen Wind und die ersten Blätter der Straßenbäume unter
dem Gehsteigmobiliar und den Füßen der Essenden. An einer kahlen
Südwand verliert eine alte, ungewaschene Frau in Filzpantoffeln die Leine
zu ihrem Schäferhund, der selbstvergessen gerade so schnell weitergeht,
daß Beeilen ihr nichts nützt und mehrfach der Pantoffel knapp hinter
der schleifenden Schlaufe der Leine auftritt. Dann entschließt sie sich,
den Hund entschieden darum zu bitten stehen zu bleiben, was er auch tut. Sie
hätte sich wohl nicht gerne helfen lassen, da sie vermutlich zu glauben
versuchte, niemand hätte dieses Ereignis mitgekriegt. Meine Geschwindigkeit
ließ eh nicht zu, in die Situation einzuspringen, bevor sie sie selbst
gelöst hatte.
Stunden später schaute ich -das Rad zwischen den Beinen, den Tabak in den
Händen- immobil auf eine Frau, die es zwei Meter entfernt irgendwie nicht
schaffte ihren Kinderwagen einen höheren Bordstein diagonal hochzukriegen.
Vielleicht schaffte sie es auch nur deshalb nicht, weil sie erwartete, daß
ich anfaßte. Bis zur Lösung verging just soviel Zeit, wie ich gebraucht
hätte, um Beine und Hände von ihrer momentanen Funktion freizustellen.
Ob des Wissens darüber fühlte ich mich arrogant und ließ sie
sich vor meinen Augen abmühen.
Die Stadt war schon leer, obwohl die Geschäfte noch offen hatten. In der
Nähe der Sexshops und Übergrößenläden konnte man bereits
nach Gehör die Straßen überqueren. Die verlassene Stadt war
weich, als hätte niemand mehr Gelegenheit gemein zu sein. Hatte das fast
vergessen. Südeuropäische Siesta in der manche ihre Läden auflassen.
Oder Samstag in Brüssel, wo Araber ihren Familiennachmittag im tröpfelnd
in Anspruch genommenenen Lebensmittelladen verbringen. Zur selben Zeit füllen
sich im kolonialen Café im großen Stadtpark die Monositzgruppen
mit Familien und geschminkten alten Damen. Erst dann werden auch die dünnbeinigen
Bandstahl-Klappmodelle aus der Entstehungszeit des Ortes in Anspruch genommen.
Das Café ist gegen Fuß- und Basebälle eingezäunt. Im
Park spielt ein zahnlückiger Vater geduldig mit seinem Kind dergestalt
Fußball, daß das Kind oben am Abhang steht, er unten und der Kräfteunterschied
so teilweise ausgeglichen wird.
PetROWelt - Hoechst-Knapsack - Produktion von Polypropylen
Die neue Polymerisationsanlage
ist Masse-PP, im Gegensatz zur älteren Suspensionspo-limerisation, die
in Hexan als Lösungsmitttel stattfindet und Abwässer produziert. MPP
ist bis auf das aus der Pipeline der ROW kom-mende Propylen und die Abzapfstelle
des Polymerisats ein geschlossenes System. Die Reaktion findet bei 40 bar im
flüssigen Propy-len selbst statt. Nach ein oder mehr Umläufen in den
Loops wird das körnige Polymerisat (Neuware) aus dem Flüssiggas zentrifugiert,
welches daraufhin gemischt mit Neuem und mit neuen Katalysatoren wieder in den
Kreis-lauf eingespeist wird. Die durchschnittliche Kettenlänge wird durch
die Verweildauer im Prozeß eingestellt. Die Abbruchreaktion wird nur durch
den Entzug des Grundstoffs einge-leitet. Für den Ausnahme-/Havariefall
gibt es einen sog. Killer, eine Substanz die den Pro-zeß schnell unterbricht.
Stellt die Anlage sich unvorhergesehenermaßen ab, gelangt das Gas in einen
Abfackelungsofen.
Die Neuware wird in Silo-LKWs in eine der sechs Granulieranlagen transportiert,
da der TÜV eine Rohrbeförderung nicht genehmigt (die ROW macht alles
über Pipeline, was ein rohrposttypisches Geräusch erzeugt und damit
eine altertümliche Behörde assoziiert). An den verschiedenen Zwischenspeichern
(Silos) vor den Granulieranlagen kommt auch das Recy-clat, das ausschließlich
aus vermahlenen ausgedienten "Stoßfängern" besteht an.
Beim Einschmelzen werden die Ketten kürzer, dh. die Fließfähigkeit,
die Biegsamkeit des Mate-rials wird größer, dh. die MFR (Medium Fluid
Rate) kommt höchstens auf einen mittleren spritzgußfähigen Wert
(damit natürlich auch auf einen niedrigeren folientauglichen Wert): "Downcyc-ling".
Neben den Hauptzwischenprodukten, den verschieden auspolymerisierten Neuwaren
und diesen Recyclaten können Pigmente, Batches, Additive, Glasfasern und
Mineralien zugefügt werden. Die Coloristen mischen nach Rezepturen aus
Frankfurt, an kleinen digitalen Einzelhandelswaagen, dazu nehmen sie die Pigmente
mit Mehlkellen aus 50-kg-Papiertüten, wie der Farbenhändler in Lodz.
Die Stimmung dort oben bei den Köchen zeigte sich aufgrund der Anwesenheit
des nun in eine andere Abteilung aufgestiegenen ehe-maligen Vorgesetzten besonders
hell. Menschliche Dimensionen: 10,5 Kilo Titansul-fid, 300 kg Talkum...; Eingeben
in den Com-puter; das unbeliebte Saubermachen der Mischbatterien; Organisieren
des Maschinen-einsatzes, manche schließen gewisse Additive aus, nur die
41 kann Recyclat, Kunden haben unterschiedliche Prioritäten, Farbe, Beschaf-fen-heit,Tempo...
Eine Granuliereinheit mit etwa fünf Maschinen hat etwa 13 Leute pro Schicht.
Keine Frauen. Eine inselartige, nicht anonyme Existenz, ab-hängig vom Charakter
der Kollegen, aber laut. Sehr laut. Dann kommen alle zwei Stunden die Spritzproben
und die Testergebnisse, MFR-Werte, sowie Aschen-anteile nach der Verbrennung,
aus denen Rückschlüsse mit einer eingeschränkten Anzahl von Variablen
gezogen werden. Meister nehmen mit mehr oder weniger Fingerspitzengefühl
die Korrek-turen vor und setzen mit Bleistift alle zwei Stunden ein Diagramm
fort. Rezepturlisten und Überwachung der einzelnen Waagen sind datentechnisch
nicht verbunden. Die Testla-bors sind abgetrennt, damit Bequemlichkeit nicht
zu Nachlässigkeit führt. Verdoppelungs-prinzip. Qualitätssicherung/Qualitätskon-trolle
ist, da die Zuständigkeiten nachvollziehbar sind, auch Überwachung
der Qualität der Arbeit des Einzelnen.
Mein verständlicher Führer, der Recycling spezialist, Herr A. hatte
sich geradezu perfekt auf meinen Wissensstand eingestellt hatte und wurde in
seiner Klarheit manchmal leiden-schaftlich, obwohl schwer auszumachen war, worauf
sich dies Leidenschaftliche bezog. Es schien als eine ihm eigene Notwendigkeit
da zu sein, deren Gegenstand eben diese Arbeit geworden ist. Eine Art engagierter
innerer Neutralität. Er sprach von dem Blick, der mit einer gewissen ironischen
Genugtuung jede fremde Stoßstange, die ihn beim Fahren stört irgendwann
geschreddert wieder bei ihm lan-den sieht.
Glasfaserverstärktes PP für Gehäuse von Bosch, Stichsägen und Bandschleifer, drei Meter lange Spaghetti und quallige, verstei-nerte Ausschußfladen fielen bei einer Unter-brechung ab. Eine Kleinmenge, einige Ton-nen, vom "Absacker" werden diese Säcke von Hand verschlossen und auf Paletten gestapelt. Die gängigen Typen laufen durch eine auto-matische Absack- und Palettieranlage, werden unter einen Folienschlauch gefahren, der eine Haube über den aufgemauerten Sackstapelt stülpt, die in einer Wärmekammer festge-schrumpft wird.
Alles geliehen
Kein Schlaf, das Hinlegen und das Hellwer-den beobachten. Heute gibts keine
Leichen an der Böschung der Wies´n, denn es ist naß und es
gibt kein Licht. Der alpine Nebel in den Häuserrinnen hat sich in Kölner
Oberhausener Berliner Schattenlosigkeit verwandelt.
Mit jeder Zigarette schwellen die Hals-schlagadern und das Rauschen im Kopf
bekommt dieselbe Farbe, wie der Blick aus einem der Fenster in einer der Wohnungen,
in denen sich dieser Körper hinlegt, er hat nur noch Werkzeuge, keinen
Raum. Ir-gendwie schleppt er diese Werkzeuge mit sich herum, bzw. läßt
sich von ihnen bewegen, das Fahrrad, das Auto; dadrin die Relikte nicht-vergangener
Aktivitäten, Kunststoffberge als blau-weiße Unformen, Netzteile in
Supermarkttüten, Schuhe, Knäckebrot, halbleere Flaschen, ein Mono
mit Anguß, Kontaktlinsenwaschwasser, ein Wecker, der trotz seines Fiepsens
nicht auffindbar ist, ein zusammengerollter NVA-Zombie, mit angeschweißten
Fußsohlen und verteerten Nähten. Gelbe schmutzige Wäsche und
der geplünderte Moskauer GUM-Rucksack mit sauberer Wäsche und darin
abgefederter Hi8-Kamera, deren Auf-nahmen inzwischen aussehen, wie Geld-scheine,
die beim Waschen in der Hosenta-sche vergessen wurden. (Nun ist sogar der Ort
des Textes, A´s Rechner, in dem ein file angelegt wurde und zwischen Elefan-tenbriefen
und Kassettenbestellungen ver-staut, darauf angewiesen in diesem Bewußtsein
seinen Ort zu behalten).
'Alles Geliehen', eine irrsinnige Menge ge-liehenen Geldes auf dem Konto, mit
dem ein Ergebnis erzielt werden muß.
Ein Sommer, der nicht stattgefunden hat, ein virtueller Katalog, ein virtueller
Film eine virtuelle Ausstellung, mit virtuellen Drah-träumen, virtuelle
Werkzeuge, die noch in den Läden stehen. Das Zentralorgan dieses Virtualitätentanzes
ist das graue Auge, das in den lichtlosen Münchener Nachmittag schaut,
ohne daß irgendein Nachbar Geräu-sche machte, oder A auf dem Bett
mit Ganesha läge, geliehenes Badewasser, das hinter dem Rücken abkühlt,
ein Frühstück mit N, P und schwergewichtigen Ignaz-Croissants. P´s
Schülerleben, das sich damit zu beschäftigen hat, wie sie den zerlaufenden
Sonntag so übersteht, daß nicht alles am Montag immer noch so scheiße
vor ihr liegt wie jetzt; ihre ungleich-zeitige Freude an Blümchentassen
und Rap. Bei ihrer Suche nach Werkzeugen absolviert sie abwechselnd ein Wortgefecht
mit der Mutter in Stereotypen, eins mit dem Vater, Spiralen, die nur sein können,
wie sie sind, bis einmal ein Werkzeug da ist. Nur zu-schauen können. Das
Zuschauen macht Eltern zu Versorgern, es bremst ihre Reali-tät, es zieht
sie in den ratlosen Nebel hin-ein. Sie haben ihre Wohnungen. Gemietet, haben
sich nicht installiert. Jeden Monat fließt eine festgeschriebene Summe
Geldes irgendwohin, damit man den Schlüssel ins Türschloß dieser
Orte stecken kann, das gibt den Raum.
Wie A´s Fünfzigerjahrewohnung, schaut man auf die Innenfläche
des Häuserblocks, steht dort diagonal mit rotem Wein an der Giebelwand
ein Gebäude aus frühreren Katastereintragungen.
Alles ist wund von Chips und Erdnüssen und dem Film gestern abend in dem
Körper, dem seine Gedanken auseinanderfliegen, auf dem Sprung zu westafrikanischem
Re-gen. Es wird immer mehr hineingeholt, um den die Schallmauer der Konkretisierung
nicht durchbrechen zu müssen: die Wiesnleichen an der Böschung, die
Kuh- und die Freßmesse.
Gestern warf ich die Meinungsdemokratie/-pluralität/-vielfalt aus ihrer
zentralen Positi-on im Katalog. Wo es um einen Weg oder die Möglichkeiten
unterschiedlicher Wege geht, verhinderte dieser Block wäre er in der Mitte
die Einlassung auf den Organis-mus, der da entstehen soll.
Desweiteren, Sonntagnachmittag
irgendwo in Siedlungsgebieten, die noch Felder um-schließen eines der
verbarrikadierten Wohngebäude mit eloxiertem Alumini-umeingang, klingeln.
Eine vertrauensvolle, langsame Frau öffnet, zieht mich ins leere Wohnzimmer,
zieht die Gardine zurück und zeigt die nachführbare Satelitenschüssel,
beiger Teppichboden, ein nie befeuerter Kamin, Videobeam; Videogeräte bis
in die braun-meliert gekachelte Toilette hinein. Resopal- und Furniermöbel,
verstapelt mit Kassetten und Schrott, dann kommen Stimmen aus der Wendeltreppe
vom Keller nach oben, schaumgepolsterte Handläufe wie um Lenkräder
von Ralleyautos. Sie schieben uns in die Küche 'K. und R., Si-bylle'. Heizung,
braun, heruntergelassene Rolläden, vom Vormieter übernommene Einbauzeile,
mannshoher Kühlschrank, beige-beschichtet, Holzmaserung, davor mehrere
ebensohohe Stapel Bierkisten, Bier oder Wein, vielleicht Wasser, ja, ich bin
krank, das Wasser sieht wie Wodka aus, nein es ist gut, ohne Natrium, ja. Hast
du ein Glas, jetzt ja. Gehn wir ins Wohnzim-mer, die Küche ist eng vom
zentralgeheiz-ten stundenalten Grasrauch. K. trägt eine monströse
Brille, die seinen Kopf seitlich abschließt. K. kommt sprechend herauf
und wird die zwei Stunden nicht damit aufhö-ren, sein Bruder ist still,
der Tontechniker, er hat keine solche Brille. Ich habe den Ein-druck, die beiden
schon mal gesehen zu haben.
A. sagt ja und öffnet ein Bier. Kommt ein Satz eines anderen in Ks Kopf
an, so ver-gißt er ihn nicht so schnell wieder: daß Bilder in der
vierten Kopie von S-VHS wie gewaschene Hundertmarkscheine ausse-hen.
Irgendwann ist das Band unten gelöscht und später gehen wir die Wendeltreppe
runter, Kunststoffformteile verankern die Stufen an der Mittelachse. K. kommt
auf die gewaschenen Hundertmarkscheine zu-rück: wenn nix drauf ist, nützt
auch 35mm nichts. Ja. Alte U-Matic-Maschinen mit den verkabelten Rückseiten
nach vorne von Kartons umstapelt; nochmal derselbe Raum, gigantischer spannteppichbelegter
Partykeller voller Studiorecorder, ein halbes Jahr nicht drin gewesen, geht
aber noch, Musikmaschinen, Mischpults, Steckfelder. Merk dir das 52.00 und auch
so hier, das kannst du dir auch merken. Jetzt brauchen wir Balken und das Logo,
ist noch auf der Kopie drauf, von welcher haben wir gespielt A: Rohschnitt.
Afrikanische Sonne, 4 Moni-tore Menschen, die aus einem Stadion strömen,
Beton in der Wüste. Dann ein kleines Konzert, die beiden x-beinigen Tän-zerinnen,
tragen irgendwie falsche enge BHs und enge Höschen, an denen auch Röcke
festgenäht sind, afrikanischer Rock. Die Zuschauer stehen reglos aufgereiht,
Traue keinem Zwischenschnitt. Dann tan-zen sie. Jemand mit 16mm Kamera schiebt
sie sich ins Bild, der männliche Tänzer trägt eine Kunstfelljacke
der nach-siebziger Jah-re. K. schwitzt und spricht. Zwei Frauen mit Kästen
auf dem Kopf, die jüngere kriegt die Sache mit dem Tuch und der Balance
nicht hin, ein wachhabender Soldat, der an der Straßenecke rumsteht, schiebt
ihr das Tuch unter, die Frauen gehen, der Soldat bleibt allein. Dann Kino, alles
ist zu lange gelaufen, 16.null, null war Schluß. Niemand hat sich hier
etwas merken können, ok, jetzt den Rest löschen wieder auf die brau-ne
Ledercouch in das Analogzimmer im Parterre. Die Opernprobe in der Kapelle, die
Großhesseloher Brücke, die Filmmusik, wie kann das sein, es scheint
hier niemanden zu geben, der sich wehrt, das mußt du tun, du darfst ihm
nicht das Material geben, da warn Rohrbruch über der Achtzigtausend-marksmaschine,
wir sind mit Eimern drun-ter, da kannst doch nix lassen. Klauen, Aufnahme, Cd
mit beschissenen Geigern in der Oper, eigentlich viel besser, als wenn sie gut
wären. Irgendwann wird dieser nie mehr enden und ich stehe auf. K realisiert
jetzt einen Moment den Besuch der Frem-den, wie hast du das Band denn gefunden,
er kommt mit zur Rauglashaustür. Hm. Findst Du zurück?
"Zentnerschwere
Worte": Raum der Beschreibung
Ok, über die Frage der Darstellung haben wir viel nachgedacht. Die Vorstellung
unterschiedlicher Aspekte, z.B. der Elektronenbewegung: Der Draht beschreibt
ihren möglichen Weg in einer sagen wir Nanosekunde, der Draht kann natürlich
nur den Weg beschreiben, den sie in ihrer Ansicht als Teilchen zurücklegen
könnten.
Die Darstellung wird ein
vorläufiger Endpunkt einer Wahrnehmungsarbeit sein. Im Moment spielen sich
die Lösungen im Kopf ab: nach ihrem Zusammenbrechen immer wieder das Neu-Aufbauen
der Sicht. Eine Vorstellung räumlicher Art von etwas bekommen, das nicht
vorstellbar ist.
raus?
es bedarf z.B. intensiver Konzentration, um das Erleben den medizinischen Beschreibungen
anzunähern, vom Tumor beispielsweise Betroffene beginnen oft nach anderer
medizinische Beschreibung zu suchen, die dem Erleben entsprechender sind.
Wo es kein Erleben gibt,
wird im Allgemeinen das durch Rückschluß gewonnene Modell als geltend
angesehen.
(Als ich als bekannt voraussetzte, daß die Beschreibung wohl nichts mit
dem zu tun habe, wie sowas wirklich aussähe -falls man denn noch das Wort
'aussehen' benutzen könne- sagte Max H. (theor. Chemie, TU Berlin) nur
kurz, daß die Modelle der Sache sehr nahe kämen.
Es gibt kein Wissen, das je das Wissen über den eigenen Körper und
die Qualität der ankommenden Wahrnehmungen beschreiben könnte. Dafür
gibts Modelle. Um mir etwas vorstellen zu können, muß ich aus den
Verhältnissen anderer Modelle zu meiner Wahrnehmung rückschließen.
Baue einen Raum verschiedener Modelle.)
Beim Inder sitzen eine deutsche Frau und ein Hongkong-Chinese, die beide die Sprache des anderen können, ihr deutsches Chinesisch ist ganz sanft und tastend, sie sprechen wenig, sie schaut links an mir vorbei, dann rechts, ihre Augen wandern schnell, aber sie vermeidet mich.
Wenn man beginnt, Materialien
bis in ihre Atomstruktur zu sezieren, begreift man sie schnell als Raum. Material
wird zu Raum: Das molekulare Gitterwerk zeigt das Material nicht als festen
Körper, sondern als eine transparente Struktur winzigster, durch energetische
Bindungen zusammengehaltener Partikel.
Je kleiner die beobachteten Strukturen werden, desto mehr wandelt sich der
sichtbare dreidimensionale Raum in den Raum der Beschreibung.
Legte man sämtliche Atomkerne eines 20 m langen Hauses direkt nebeneinander, wäre es nur noch 1mm lang.
Dann flüstern die Bitterfelder und die Norditaliener lauter
14.08.96 19:40
Dunkler Mittwoch, durch nebliges Bayern scheint die gut installierte Pracht
in Edelstahl und Benutzerfreundlichkeit bescheiden, schweigend. Weil ein Feiertag
folgt machen sich einige ermattet vom Regen zum Wochenende auf. Der Sommer funktioniert
nicht. Das unbeleuchtete, schattenlose Dasein der Wohlversorgten macht die Rucksäcke
schwerer, niemand spricht mehr über das Wetter.
Ungewohnte Freudlosigkeit der Reisetätigkeit schließt das Rad mit
drei Schlössern, die Müdigkeit in den Adern, die schlecht geplanten
modernen Sitze, aus denen der Kopf am kraftlosen Hals hängend unablässig
herausrollt, zurückgezogen, wieder herausgehangen auf eine Trennscheibe
zum Gang gefallen, aufgeben, wundere mich eingestiegen zu sein, ohne jede Vorstellung
davon zu haben, den Ort zu verlassen, an dem ich aufgehalten wurde, bis ich
über ein halbes Jahr dort gelebt habe, ohne je Entscheidung oder Vorkehrungen
dafür getroffen zu haben. Kasernierte Bitterfelder jenseits der Scheibe.
Eine Fabrik in einem Außenbezirk Nürnbergs überragt die anderen
gleich hohen Gebäude durch einen grünen 45 Grad nach oben gerichteten
beleuchtbaren Pfeil. Der Regen nivelliert die Aufdringlichkeit der Fußgängerzonen,
die sich mit gebrochenen Pflastersteinchen oder mit diese immitierenden Ersatzwerkstoffen
zwischen die Sockel dispersionsfarbener Fassaden spannen.
Die flüsternden Italiener im Schwerbehindetenabteil schauen auf ein Land,
dem Geranien und farbenfrohe Baumaschinen kaum aufhelfen. Sie schauen auf ein
Giftmobil in einem umzäunten Grundstück außerhalb einer Stadt,
sie schauen auf Kiesgruben, deren ältere Teile wassergefüllt poetisch
bewachsen sind. Ihnen gegenüber sitzen Damen mit breiten Brillen, deren
Design eine Mischung aus Instrumenten-Gestaltung und MTV-Labels darstellt. Sie
schauen auf diagonale herabhängende olive Kopfkissen und dicke grüngraue
s-förmige Plastikwürste an denen Eurocity-Magazine hängend ungelesen
bleiben. Sie sehen graurosa Konstruktionen auf den Bahnsteigen, deren Bedarfstatitistik
wohl nahe null bleibt. Zu ihrer Handhabung haben die Zugbegleiter einen zweistündigen
Lehrgang absolviert, nur nie wurde ein Behindeterter gesichtet, der mit diesen
Konstruktionen in den Zug hätte gehievt werden können. Sie sehen den
auf dem Gang sitzenden Wehrpflichtigen eine Coladose mit Deutschlandbanderole
öffnen. (Früher hatte man diese Wehrpflichtigen an ihrem Alter, ihren
Reiseterminen etc, heute gibt der Tarnanzug sofort Auskunft.) Strenggenommen
schaut nur die Frau, manchmal flüstert sie etwas über ihre Wahrnehmungen
zu ihren Mann, der mag sein Silbenrätsel nicht unterbrechen.
Ein Berg, dessen Gestalt den Vorgeschichtlern erlaubte Mammuts auf der einen
Seite hoch zu treiben, damit sie sich auf der steilen anderen totfallen. Bis
der Zug in Lichtenfels -Untertitel: die deutsche Korbstadt- hält, esse
ich Knäckebrot, Käse und eine israelische Tomate, die nicht nur am
Stengel hängend verkauft wird, sondern auch nach ihm schmeckt.
Gegen Abend dispergiert der Wolkenverhau dunkelgrau, um daneben blau direktes
Licht durchzulassen, das auf den Oberflächen überlaufender Teiche
den Bewuchs an ihrem Rande spiegelt. Die Bitterfelder und die Kinder sprechen
lauter, die Norditaliener flüstern häufiger. Neben mir, jenseits der
Glasscheibe wirft ein Mädchen eine leere Dose in den Mülleimer, freut
sich über diese Tat und kehrt schnell und befriedigt zu ihrer Familie zwei
Blocks weiter zurück.
Das Flüstern der Norditaliener scheint sich über die neue Möglichkeit
mit ihrer Zeit tun zu können, was sie wollen, bewußt zu sein. Offenbar
verschlägt ihnen das die Sprache: die Freiheit mit gelegten Karten. Unentschieden,
ob die Karten umgeordnet werden können. Die Gelassenheit im Angesicht dieser
Entscheidungsmöglichkeit ist vom Schwinden der Kräfte begleitet. (Irgendwann
beim Biegen bekannter Biegungen in den Drähten wurde mir plötzlich
bewußt, daß die familiäre Katastrophennachricht irgendwann,
an irgendeinem Nachmittag im Keller oder am Computer in der Küche kommen
wird, dann ist alles anders, dann werde ich von einer auf die nächste Minute
dort sein). Diese Zeit tut sich schwer, unbekümmert zu sein, sie versteht
sich als ein Geschenk, ein rationalisierungsbedingter Freiraum, ein Abfallen
der Zwänge zum Preis mangelnder Perspektive. Dann lacht der Italiener angesichts
eines übergroßen, übergrünen Stollwerck-Sprengel-Schokolade
Gebäudes 'cio-cho-la-ta', hievt die Reisetasche von der Ablage und sie
öffnen jeder eine Tafel Ritter. Der folgende Bahnhof in Baustelle zwischen
schwarzem Schutt und angefangenen Brücken 'Germania- este' erkläre
ich, Germania este gibt sie ihrem Mann weiter. Dieser Freiraum macht eine neuartige
Form an sich selbst zu denken notwendig, bekommt die Gestalt von Versuch oder
Angebot, was angesichts des Lebens- und Überlebensgestaltens vergessen
war. Weiter vorne im Waggon studiert eine ältere Frau die Funktionsweise
der Lesebeleuchtung: Was sie früher zunächst bei anderen aus dem Augenwinkel
heraus beobachtet hätte, tut sie nun in ungetarnter Unkundigkeit. Beim
Ertasten der Schalter befühlt sie das braungraue Rohr mit integrierter
Lampe und das Plexiglas unter dem die Reservierungszettel eingeklemmt sind.
Sie haben reserviert. Sie wußten, sie würden an diesem Mittwoch vor
dem Feiertag fahren, sie waren eh am Bahnhof um den Vollzug der Reise festzuschreiben.
14.08.96 20:18)