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Vor der Werkstatt
sesshaft
es hat uns gut gefallen
ich denke da an die erscheinung,
die appetitlichen antipastoplatten, die nachts um drei unberuehrt
auf dem tische erschienen waren, ich denke da an S., die plötzlich
und herzlich da war, munter in schön offenstehendem hemd ebenso
mitten in der nacht,
ich denke da an F. , die nach kurzer Aufwachzeit frisch und munter
dem Autokindersitz entkam und ebenso munter und erleichtert war,
unseren alten Freund K so wohl hier anzutreffen. - da wir ihn zum
letzten Mal in weit schlechterem ja sogar katastrophalen, folgenreich
kathastrophalen Zustand angetroffen hatten. Sie hatte ja zwischenzeitlich
keine emails mit ihm austauschen können und hatte deshalb nur indirekt
erfahren, dass er wieder ein halb bis doppelt zufriedenes Mitglied
unserer europäischen Gesellschaft geworden ist. (Das sich inzwischen
zeitweise sogar in Pariser Vorstadtdoppelhaushälftengärten wagt.)
ich denke da an den klavierhocker mit seiner langen ebay-geschichte
und die zugehörigen noten, das morgenmittaglicht das in den staubigen
Palast über den Dächern von P. schien (ohne dass man sich für sacrecoeur
oder Eiffelturm mehr als aus dem Fenster lehnen musste).
Darunter am Bd Clichy mischt sich Opladen mit Marokko, und Köthen
mit Ouagadougou.
Biarritz wieder bei Nacht, 4h, der Strand beleuchtet mit Felsen
wie in einem vergrößert-verkitschten japanischen Steingarten. Einzelne
Grüppchen, die hier in der Nähe die Wohnungen ihrer Eltern abwohnen,
sitzen im schrägen, fast horizontal in die Kunststeine leuchtenden
Scheinwerferlicht im Sand mit seinem tausend kleinen schattigen
von abertausend Füßen ausgetretenen Kuhlen. M. schafft es ins Wasser.
welten vorher
eine reise formt sich sinnlos im kopf, welcher sinn könnte schon
die ganze anstrengung und die fünfzigsechzig autostunden rechtfertigen?
dass ein kind um drei uhr nachts artichoken entdeckt wie das weltwunder?
oder dass die mutter zu dem kind einen gewaltigen durchbruch in
einer gewaltigen geländestufe sieht, in den dünsten der hühnerfarm*
mit kotztuch vorm gesicht die heringe in den weichen, alles verschluckenden
boden schlägt, im regen die Kabel verklebt.
neben ihrem alten Freund A. fast ohne kontakt spanisch tafelt, tür
an tür mit dem herausgeputzten geburtshaus goyas, im kampf mit den
entfernungen, mit der warteenergie der anderen teilnehmer und in
verzauberung der grossräumigen weinrebenwüste. jeder durchblick
setzt das bewusstsein auf einen anderen platz, jeder neue blick
schmilzt den ganzen praktisch-menschlichen knaeuel in sich ein.
und zusätzlich das kleine paradies unten am schmalen fluss huerva,
unter der winzigen stadt (nicht mehr der übelzugerichteten goya-geburtsdorf-gmbh,
sondern villanueva mit weinrot geschwollenen winzern) immer wieder
in
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zahlreichen einzelnen
minuten innerhalb der autostunden die gärten am fluss von oben,
von der strasse aus herabgeträumt. und immer wieder in dem pseudofamilienkokon.
das ringen mit dem mitgebrachten menschengehäuse scheint mehr zu
isolieren als es einfach sein lassen, wie es ist.
das Kind lässt einen
nicht mal einen kaffee drei zeilen ziellos auf einen zettel schreiben,
es zieht das zentrum seines gegenübers zu sich. mit all seinem charme
und all seiner unschuld modifiziert es meine person, und ich lasse
es geschehen, denn ohne geschehen-lassen gibt es keine freude zusammen.
es hatte viel zu sehen,
diese menschen, die überall an irgendwas bauten, irgendwas wollten,
etwas, das dem wollen und tun der eigenen mutter parallel war, etwas
in dem sie sich mit ihren fragen orientieren konnte. und mit ihren
fragen konnte sie die intensität bestimmen, mit der sie sich auf
dieses weitere angespannte menschengebilde einlässt (oder ob sie
mit ihrer unermüdlichkeit ans werk geht, die umliegenden menschen
in ihre kreise hineinzuziehen).
die angereiste und (durch
fehlende Verkehrsmittel) in abhängigkeit gehaltene künstlerschaft
bildet eine gruppe von leuten, die an die weinernte-orte ihre eigenen
notwendigkeiten importiert. Durch ihre immobilität wird sie in villanueva
in und vor der werkstatt sesshaft, sie ist eine im wesentlichen
gern gesehene gruppe marsmännchen. und da hat F ihre gemeinsamkeit
mit den anwohnern. diese marsmännchen nun tun fast alle etwas, für
das sie einen bezug zu dem was sie vorfinden behaupten. sie haben
sogar recht damit, genauso wie sie damit unrecht haben, denn man
könnte nicht mehr dafür tun, die unterschiedlichkeit / die schlucht
zwischen den lebenswelten deutlich zu machen, als dort ein projekt
zu machen. ginge man in eine pension, ferien auf dem bauernhof,
besichtigung von goyas frisch verfugten casa natal an der placa
goya in bronze, wäre man vielleicht chinese oder madrilener, aber
man wäre ein nachvollziehbares wesen, mit der angenehmen nebeneigenschaft
am ort geld auszugeben**. man könnte auch dem aragonesischen ciclisten
club angehören, der an den wochenenden auf dem parcours vorrecht
vor autos hat und das in glatten, die beinmuskeln plastifizierenden
trikots unter stromlinien-grünen helmen schwitzend in anspruch nimmt.
(alles scheint zu der modernen funktionstüchtigkeit ländlicher strukturen
beizutragen, denn keineswegs gibt es nur die alten, die - bis sie
alle gestorben sind - an der strasse mit der Sonne ihre plätze auf
den Bänken wechseln.)
*Der
Strom kam von einer Hühnerfarm, und die Scheisse der 40.000 trocknete
neben der Nase. (Alternativer Standort wäre die Schweinefarm gewesen).
alles ist problemlos beieinander, Tierindustrie und rustikaler jamon
(Schinken), Gesichter aus dem 19. Jahrhundert und EU-Gesichter,
alle steigen aus den gleichen Opels aus.
**aber niemand hat es geschafft, die Vorstellung davon zu vertreiben,
wie unendlich alleine Fuendetodos zu Goya-Zeiten im All (oder auf
der Erdoberfläche) gelegen war.
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